Ökonomie und Balance
Interview und Fotos
Hans Kumpf, 1998
Übersetzung von Hans Kumpf
Ein
Allround-Talent ist der am 7. Dezember 1955 geborene Gitarrist Cuck Loeb fürwahr. Nicht
nur, daß er sich der New Yorker in unterschiedlichen Stilen bewegt, als Studiomusiker
muß er seine Flexibilität stets neu beweisen. Zudem verdingt sich Loeb als Komponist,
speziell für TV-Jingles. Ausgedehnte Tourneen unternahm Loeb mit dem Saxophonisten Stan
Getz, als dessen "musikalischer Direktor" er fungieren durfte. Zur deutschen
Szene unterhält Chuck Loeb laufenden Kontakt, beispielsweise zu dem Klarinettisten Rolf
Kühn und dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner. Bereits 1979 erlebte ich Loeb, nämlich bei
einem relaxten Auftritt in einer vormaligen Pizzeria des Städtchens Piermont (US-Staat
New York). Ein nostalgisch-idealer Einstieg für ein Interview... Erstmals hörte ich Dich, als ich dieses Foto aufnahm. Kannst Du Dich noch erinnern, wo es entstand? "The Turning Point"? In Piermont - unglaublich! Ich spielte damals zusammen mit Jack Dryden am Bass, Mike Pelera am Klavier, Charlie Camilieri am Flügelhorn, Richard Perry auf dem Tenorsaxophon. An den Drummer kann ich mich nicht mehr erinnern. Das ist Wahnsinn - 1979, vor fast zwanzig Jahren. Als Du in diesem Club auftratest, spieltest Du einen eher "coolen" Jazz. Vier Monate später, im Dezember 1979, erlebte ich Dich mit der Gruppe von Stan Getz in Stuttgart. Da war ich wirklich überrascht, weil Du da härter spieltest, geradezu "Punk-Musik", wie ich damals in den "Stuttgarter Nachrichten" schrieb. Ich weiß nicht, ob es "Punk" war! Du mochtest wohl mehr das "coole" Zeug... Was denkst Du über Deine Zeit mit Stan Getz? Das war für mich eine faszinierende Sache. 22, 23 Jahre alt zu sein und von Stan Getz engagiert zu werden - da erfüllte wurde ein Traum wahr. Ich selbst beschäftigte mich nicht nur mit der Gitarre, sondern auch kompositorisch. Stan war kein Komponist. Deshalb suchte er immer nach Leuten, die für seine Band die Musik schrieben. Er bat mich, für ihn zu arrangieren. So spielte ich nicht nur mit ihm, ich konnte meine Musik zudem mit dieser großen Gruppe auf der ganzen Welt vorstellen, zu den Festivals reisen und viele Leute treffen. Das war eine wertvolle Erfahrung und wichtig für meine Entwicklung, glaube ich.
Das ist interessant. Zuerst möchte ich dies sagen: Er übte auf mich in seiner Art wirklich einen großen Einfluß aus, er legte viel Wert auf seinen wunderschön warmen und liebevollen Ton. Ich versuchte, sein Saxophon auf meiner Gitarre nachzuahmen - es war auch mich wichtig, einen derart guten Sound zu schaffen. Als Person war Stan etwas schwierig. Er kämpfte mit vielen Problemen: Drogen, Alkohol undsoweiter. Dies wurde in seiner Persönlichkeit deutlich. Ich erlebte ihn, wie er sich gegenüber gewissen Leuten schlecht und nicht so freundlich aufführte. Ich muß sagen, daß er mit wenigen Ausnahmen sehr nett zu mir war. Was hast Du von ihm musikalisch gelernt? Vieles, aber am wichtigsten war die Dominanz von Sound und Wärme. Dieser Kerl blies ein paar Noten, und schon hatte er das ganze Publikum in Bann geschlagen. Außerdem war großartig an ihm, und da wirst Du mir sicher zustimmen, wie er ökonomisch mit den Noten umging. Er mußte nicht viele spielen, um eine Menge auszusagen. Und ich glaube, diese Vorgehensweise blieb auch bei mir haften. Er verhielt sich sehr demokratisch - er ließ uns viele spielen. Es war nicht so, daß wir lediglich als Begleitmusiker von Stan Getz auftraten. Er wollte, daß wir spielen. Daraus habe ich gelernt: Wenn ich selbst eine Band habe, möchte ich jeden einzelnen herausstellen, und ich versuche, das Programm auszubalancieren. Nun machst Du Deine eigene Musik. Als was fühlst Du Dich mehr: als Gitarrist, als Komponist für Jazz-Stücke oder als Komponist für das Fernsehen (ABC, CNN und anderer Sender) oder als Produzent? Alles, was ich
musikalisch tue, kommt von meinem Gitarrenspiel her, weil ich mit Hilfe der Gitarren das
Komponieren erlernte. Selbst das Arrangieren lernte ich auf der Gitarre. Als Person
möchte ich das große Kunstwerk kreieren, "the whole thing". Auf meiner
Visitenkarte müßte stehen "Chuck Loeb - guitarist, composer, producer". Alles
ist da gleichwertig. Es begann alles mit der Gitarre. Viele, viel Jahre machte ich
Studioarbeit, lange Stunden arbeitete ich Für Schallplatten, Film und TV. Welche Gitarren spielst Du? Seit vielen Jahren spiele ich Solisten-Gitarren. Lange hatte ich eine E- Gitarre, die sich "Pensa/Suhr" nannte. Kürzlich begann ich mit der "YAMAHA Pacifica USA". Das ist ein neues Instrument, ich erhielt es erst letzte Woche. Diese Gitarren helfen mir, den Punkt zu erreichen, wo ich mich total wohl fühle. Ich gebrauche zwei verschiedene Akustik-Gitarren. Eine "Taylor" hat Stahlsaiten aufgespannt, für Klassische Musik nehme ich eine "Ramirez", eine spanische Gitarre, die meiner Frau gehört. Kombinierst Du Synthesizer mit Deiner Gitarre? Für meine Platten mache ich viel "keyboard programming". Das hat weniger mit der Gitarre zu tun als mit dem Komponieren und Arrangieren. Aber auf der Bühne gebrauche ich nur einfache Effekte wie Nachhall und Echo. Wenn ich einen härteren Rock-Sound erzeugen will, setze den Verstärker "AXSys2" von "Line 6" ein. Dieser hat einen Digitalspeicher für all die Einstellungen, da wird viel Aufwand getrieben. Früher hatte ich eine Million Pedale und Kabel dabei, heutzutage begnüge ich mich nur mit dieser Gitarre. Zurück zu den Wurzeln, also... Yeah!
Das ist interessant. Vor einigen Jahren war es populär, einen "guitar synthesizer" zu spielen. So tat ich es, als ich bei "Steps Ahead" mitwirkte. In dieser Band gab es kein Keyboard, und so hatte ich die Chance zu experimentieren, um diesen Platz auszufüllen. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages Radio hörte - da gab es ein Flöten-Solo, offensichtlich von einem Synthesizer. Am Schluß sagte der Rundfunksprecher: "Das war Lee Ritenour mit seiner neuesten Platte". Ich sah ein, daß ich doch mehr Gitarre als eine Flöte spielen sollte. Nun mache ich die Keyboard-Sachen separat, und wenn es darum geht, die Melodie oder ein Solo zu spielen, nehme ich die Gitarre. Könntest Du noch genügend Geld verdienen, wenn Du mit dem Gitarrenspiel sofort aufhören würdest? Würden die Tantiemen bereits ausreichen? Ich glaube, noch nicht. Es könnten einige Fernsehsendungen eingestellt werden, die Platten könnten im Museum landen... Da würde ich auf der Straße rufen: "Hey, der Gitarrist soll wieder kommen!..." Das will ich nicht. Jeder Tag ist ein neuer Tag, um Gitarre zu spielen und Musik zu schreiben. Du spieltest mit unzähligen Musikern, machtest viel Studioarbeit, Du hast eine Menge Musiker getroffen. Was hältst Du von europäischen Musikern - beispielsweise von dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner? Oh Mann, Wolfgang
ist wirklich einer meiner Lieblingsdrummer. Ich mag, mit ihm zu spielen, und als Menschen
stehen wir uns sehr nahe. Er wurde mir empfohlen, als ich vor vier oder fünf Jahren die
Band "Metro" formierte. Der Bassist Anthony Jackson war bereits fest, und wir
wußten noch nicht, wen wir als Schlagzeuger nehmen sollten. Der erste Auftritt sollte in
Deutschland sein. Anthony sagte: "Ich komme gerade aus Deutschland, dort spielte ich
mit Wolfgang Haffner - und er war unglaublich!" Von der erste Minute an war es
großartig, mit ihm zu spielen. Im Vorgespräch erwähntest Du einige Klarinettisten. Du spieltest mit Eddie Daniels und Richard Stoltzman zusammen. Wie war es? Da ich selbst Klarinettist bin, bin ich auf die Antwort gespannt. Vor sechs oder sieben Jahren begann ich, mit Eddie zu spielen. Auf der Platte "Eddie Daniels Collections" wirkte ich bei den Stücken "Sun Dances" und "Equinox" mit, zusammen mit John Patitucci am Baß, Dave Weckl am Schlagzeug und Sammy Figueroa an Perkussionsinstrumenten. Ich nahm drei oder vier Platten mit ihm auf. Ich kannte Eddie zuvor schon, weil wir zusammen Sessions und Studioarbeit gemacht hatten. Wir spielten zunächst Jazz, wir entwickelten unsere Beziehungen. Eddie gibt ja auf der ganzen Welt Konzerte mit Klassischer Musik. Jedes Jahr treffen wir uns mindestens einmal, wobei wir eine Platte einspielen oder in Santa Fe (New Mexico) musizieren, wo er lebt. Ich denke, dieser Kerl ist so ein großer Virtuose, er ist wirklich ein Top-Musiker. Der Sound, den wir mit Gitarre und Klarinette schaffen, ist sehr reizvoll, soft. Mit dieser Kombination haben wir das gewisse Etwas gefunden - die Chemie stimmt. Richard Stoltzman... ... Er kommt ja ebenfalls aus dem Klassik-Lager... Stimmt. Eddie kommt eher vom Jazz her, bei Richard war es umgekehrt. Richard entstammt der Klassischen Musik und strebt zum Jazz. Das Arbeiten mit Richard Stoltzman war wirklich interessant, weil ich nicht nur Jazz spielen sollte. Er bat mich, die Ravel-Komposition "Pavanne" zu interpretieren, zusammen mit ihm und Gary Burton. Mir war bange, weil ich kein "klassischer" Gitarrist war - ich war nervös. Aber es ging gut. Richard ist ein großartiger Klarinettist. Du hast eben Gary Burton erwähnt. Wie verhielt es sich mit Vibraphonisten wie Gary Burton und Mike Mainieri bei "Steps Ahead"? Großartig! Ich denke, die Gitarre und Vibraphon klingen schön zusammen. Obwohl der Sound ziemlich ähnlich sein kann? Er kann sein! Der Grund, warum ich diesen Sound so mag, kommt vom Gitarristen Wes Montgomery her, der mit seinem Vibraphon spielenden Bruder Buddy und dem Pianisten Shearing die Platte "George Shearing And The Montgomery Brothers" herausbrachte. Eine wunderbare Scheibe. Dieses Klangbild bewahrte ich in Erinnerung, ich liebe diese Instrumentierung. Auch mit Dave Samuels spielte ich zusammen, er ist auf meiner neuen CD mitbeteiligt. Er spielt Marimba, nicht Vibraphon. Das ist ein sehr organischer Sound, wie Glockenklang. Was bedeutet "Balance" in Deiner Musik? Du legtest ja ein gleichnamiges Album vor. Vor etwa fünf Jahren, als ich diesen Titel auswählte, war ich gerade Vater geworden. Ich fühlte mich wie ein Mensch auf einer belebten Straße, da sind die Kinder auf der einen Seite, dann das Familienleben, der Broterwerb und das Geld. Der Versuch, die TV-Arbeit, den Jazz, die Vaterrolle, die Tourneen und das Zuhause in Einklang zu bringen. Das stellte für mich einen diffizilen Balanceakt dar. Der Titel fiel mir ein, als ich im Fernsehen den Basketballer Michael Jordan sah. In letzter Minute hatte er noch die Kraft, sich auf einen schönen Wurf zu konzentrieren und zauberte den Ball in den Korb. Ich dachte: das ist es. Wie im richtigen Leben muß man Balance halten, damit man den Nerv hat, das angestrebte Ziel wirklich zu erreichen. Welche Einflüsse hat ethnische Musik bei Dir bewirkt? Hast Du bei Deinen Tourneen Inspirationen erhalten? Einst spielte ich
mit Stan Getz beim Yatra Festival in Indien. Morgens organisierten sie indische Musik,
abends war Jazz dran. So besuchte ich ein Morgenkonzert. Ich beobachtete, wie sie dasaßen
und ihre Instrumente stimmten. Aber das gab es keine Pause zwischen dem
Instrumentenstimmen und der eigentlichen Aufführung. Wo liegen Deine persönlichen Wurzeln? Loeb (oder "Löb") könnte ja ein deutscher Name sein... Mein Vater wurde in Düsseldorf geboren. Als Jude mußte er Deutschland verlassen - im Alter von zehn Jahren. Seine Eltern emigrierten nach New York. Er wuchs in Europa auf, er spricht noch deutsch. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, stattete er in meiner Begleitung seiner alten Heimat erstmals wieder einen Besuch ab. |