NEW YORK. Relativ „weiß“ und europäisch kopflastig klang meist die Musik des afroamerikanischen Pianisten John Lewis. Mit seinem „Modern Jazz Quartet“ pflegte er ab Anfang der fünfziger Jahre barocke Linienführung und Kontrapunktik – und brachte den derart domestizierten und „kultivierten“ Jazz in nachkriegsdeutsche Schulstuben. Jazz ohne Anrüchigkeiten seiner Geburtsstadt New Orleans, keine „Niggermusik“ mehr... Stattdessen: Jazz mit Schlips – respektive Fliege – und Kragen.
Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb John Lewis achtzigjährig am 29. März 2001 in New York. Ehe er sein besonderes Faible für die Musik des Alten Kontinents offenbarte, jazzte er auch mit den wilden Bebopern Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Doch das - mit Unterbrechungen - mehr als vierzig Jahre bestehende Modern Jazz Quartet wurde zu seinem künstlerischen Mittelpunkt und zu seinem Lebenswerk. Freilich fühlte sich darin der ewige Blues-Mann Milt Jackson, der übrigens Anfang Oktober 1999 seinem Band-Boss im Tode voraus ging, nie so richtig wohl. Dies merkte man dem vitalen Vibrafonisten schon im Gesichtsausdruck und in der Gestik stets an. John Lewis selbst galt am Flügel nicht als ausgesprochener Virtuose, ihm war die Musik als Ganzes wichtig. Solistische Eskapaden der reißerischen Art behagten dem Cool-Jazzer nicht. Der Gesamteindruck musste stimmen.
John Lewis interessierte sich freilich nicht nur für die traditionelle Musik Europas – er pflegte auch freundschaftliche Beziehung zu dem Neutöner Karlheinz Stockhausen. Der Avantgarde-Komponist erzählte mir, dass man sich gegenseitig mehrfach in Köln und in New York besucht habe. Und in New York wohnten der coole Kontrapunktiker und der mystische Reihentechniker gemeinsam einem Konzert des alten Swing-Hasen Count Basie bei. Stilistische Aufgeschlossenheit allenthalben, auch wenn diese nicht in kompositorische Praxis umgesetzt wurde.
Stuttgart erlebte John Lewis zuletzt 1992, als dieser beim „Jazzgipfel“ zusammen mit seinem „Modern Jazz Quartet“ und dem klassischen Kammerorchester „Arcata“ auftrat. Die amerikanisch-schwäbische Kooperation führte da nicht zu innovativen Ergebnissen, vielmehr wurde Altbewährtes aufgewärmt, beispielsweise seine Stücke „Three Windows“ oder „A Day in Dubrovnik“. John Lewis irritierte schließlich mit seinem „MJQ“ die Jazzwelt nicht mehr, innerhalb der Jazz-Szene verbleibt der komponierende und arrangierende Künstler nun samt seiner Vier-Mann-Combo als eine wahrhaft historische Größe.
|